Ist die vertikal verschiebbare Stabistange eine Neuheit ? 

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Anfrage:

Sehr geehrter Herr Schlüter,
gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie schon in den siebziger Jahren einen Rotorkopf mit einer vertikal verschiebbaren Stabilisierungsstange geflogen sind?
Wenn das so ist, warum haben Sie dieses System nicht weiter verfolgt?

Meine Antwort:

Ein solcher Rotor wurde bereits 1973 unter der Bezeichnung “EXPERT-ROTOR” zusammen mit einem Bausatz für das Heben und Senken der Taumelscheibe für die Modelle “Bell-Huey-Cobra”, “DS-22” und “Gazelle” geliefert.
(Siehe mein Buch “Hubschrauber ferngesteuert”, unter Bautechnik/Rotorkopf)

Bei dieser Konstruktion war die Stabistange in den Blattverstellhebeln gelagert und hatte in der Mitte einen zweiarmigen Verstellhebel. Von der vertikal beweglichen Taumelscheibe gingen zwei Gestänge zu je einem dieser Hebelarme. Wurde die Taumelscheibe (zur zyklischen Blattverstellung) gekippt, verdrehte der Verstellhebel die Stabistange und damit die Steuerflügel. Da die Stabistange an den Blattverstellhebeln gelagert war, wurde ihre Neigung 1:1 auf die Rotorblätter übertragen.
Wurde die Taumelscheibe (zur kollektiven Blattverstellung) gehoben bzw. gesenkt, wurde die Stabistange entsprechend gehoben bzw. gesenkt und damit eine kollektive Blattverstellung bewirkt.

Dieser Rotor funktionierte, an den damaligen Ansprüchen gemessen, recht gut aber es gab gelegentlich Probleme mit dem Spurlauf. Der Grund war, dass das gesamte Gewicht der Stabistange mit Steuerflügeln einschl. Taumelscheibe nebst allen Gestängen auf die Servos drückte. Die waren damals noch nicht so kräftig wie heute was zur Folge hatte, dass die Stabistange in vertikaler Richtung nicht immer präzise fixiert war. Es kam vor, dass bei einer vertikalen Beschleunigung des Hubschraubers die Stabistange dieser Bewegung nur verzögert folgte.

Je schneller eine Vertikalbewegung des Hubschraubers war (gewollt oder ungewollt) um so mehr machte sich dieses “Nachhinken” der Stabistange bemerkbar und im ungünstigen Fall kam es zu einem vertikalen Aufschaukeln. 

Trotzdem bestach die Anordnung durch ihre Einfachheit und ich habe mit vielen Varianten experimentiert:
A: Zwei scherenförmig angebrachte Gegengewichte zum Gewichtsausgleich von Taumelscheibe, Stabistange und Gestänge. (Wurde leider kompliziert, brachte aber deutlich bessere Ergebnisse.)
B: Druckfeder unter die Taumelscheibe. (Verringert weitgehend das Gewicht, nicht aber die Massenträgheit.) 
C: Lagerung der vertikal verschiebbaren Stabistange in der Rotornabe unter der Rotorblattebene mit entsprechenden Gestängen zu den Blattarmen. (Ergab besseren Rundlauf aber keine merkliche Vertikal-Verbesserung.)

Die Anordnung “C” habe ich 1975 noch mal aufgegriffen, als ich erneut mit der Bell-Hiller-Mischung experimentierte. Aber auch hier trat das Problem der vertikalen “Weichheit” auf. 
Die Erkenntnis damals war: Spielfrei angesteuerte und gehaltene steife Taumelscheibe und möglichst geringes Gewicht aller auf den Servos lastenden Teile sind Voraussetzung. 
Ich denke, diese Bedingungen gelten immer noch.

Die heute selbstverständlichen kräftigen und steifen Servos und Servohebel und die Mischmöglichkeiten zum direkten Ansteuern der Taumelscheibe gab es damals noch nicht.

Seinerzeit hieß die Entscheidung:
Heben und Senken der Stabistange mit vertikal verschiebbarer Taumelscheibe kommt in die Schublade.
Statt dessen: Fest fixierte Taumelscheibe und Stabistange nur für die zyklische Blattverstellung  und für die kollektive Blattverstellung eine völlig getrennte Ansteuerung mittels Pitchgestänge in einer seitlich geschlitzten Rotorwelle.

Mit diesen Merkmalen entstand  (1975/76) der Kollektiv-Rotorkopf für das “Heli-Baby” und (1976/77) der Kopf für die “Bell 222” mit Bell-Hiller-Mischung, auch “Heli-Boy” und “System-80” genannt. Spurlaufprobleme wegen vertikal verschiebbarer Stabistange gab es nicht mehr. Seit dem habe ich der präzisen, vertikalen Lagerung der Stabistange (auch beim Novo-Tec-Rotor mit den die Steuerung vereinfachenden Multimischhebeln) den Vorzug gegeben. 

Mit freundlichen Grüssen,
Ing. Dieter Schlüter 
Januar 2001